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2 Jahre „Cannabisgesetz“- Wie läuft‘s denn so?

Seit dem Erlass des Cannabisgesetzes im März 2017, rückt das Thema “ Cannabis als Medizin“ immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Selbst im Fernsehprogramm finden zunehmend mehr Beiträge Beachtung. Es ist an der Zeit für uns, zu berichten, wie sich das Cannabisgesetz, bzw. dessen Umsetzung in den letzten 2 Jahren entwickelt hat. Die Krankenkassen veröffentlichten teilweise ihre Statistiken und Reports von 2018. Ärzte- und Apothekerverbände lassen sicher, mit Ihren Berichten, auch nicht lange auf sich warten.

Ich erlaube mir, meine Sicht und meine Erfahrungen dazu aufzuschreiben. Als Patient und als Projektleiter und Patientenbeauftragter für diehanfapotheke.de bin ich immer wieder in der Situation, die Lage aus verschiedenen Gesichtswinkeln betrachten zu dürfen oder manchmal zu müssen!

Unser Beratungsangebot wird sehr gut angenommen, sodass ich viele Patienten am Telefon, andere auch persönlich kennenlernen durfte und darf. Ich verbringe manche Stunde damit, mir unglaublich spannende Lebensläufe und Krankheitsgeschichten anzuhören und durchzulesen. Dieses hilft mir, die Leute, die hinter diesen „Geschichten“ stehen, zu verstehen und somit besser unterstützen zu können. Manchmal liegt die Lösung einiger Probleme jedoch, nicht nur in der Verschreibung oder Abgabe von Medizin. Manchmal, aber eben doch!

Schwierig ist es für uns, wenn Patienten sich an uns wenden, welche von ihrem Arzt Privatrezepte für Cannabisblüten ausgestellt bekommen haben und nach Preisreduktionen fragen. Aus triftigen Gründen können wir diesen Patienten nicht entgegenkommen. Wir sind, wie alle anderen Apotheken auch, an die Arzneimittelpreis- Verordnung gesetzlich gebunden! Wir wissen natürlich, dass einige Apotheken das Wagnis eingehen und die Blüten zu günstigeren Preisen abgeben. Wir möchten uns nicht, von Behörden angreifbar oder sanktionierbar machen!

Mir ist die Situation durchaus vertraut, zu wissen, es gibt etwas, das mir hilft, aber es ist fast nicht erreichbar!!! Es ist eine Mischung aus Ohnmacht, Zorn und totalem Unverständnis und kann einen zermürben! Aus diesem Grund bieten wir für Patienten, Beratungen und Unterstützung für die Beantragung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen an.

Einer der Hauptgründe, woran es momentan am meisten bei der Umsetzung des Gesetzes hapert, ist die Unwissenheit vieler, am Gesundheitssystem beteiligter Personen!

Wissen eigentlich alle Ärzte, dass Sie bei gegebenen Indikationen, Cannabis verschreiben dürfen? Haben Sie sich wirklich mit den neuen Therapieoptionen oder dem bürokratischen Prozedere auseinandergesetzt?

Ich habe oft den Eindruck, dass es nicht so ist! Wenn ich in Foren lese, oder bei meinen zahlreichen Gesprächen immer wieder höre, wie verzweifelt chronisch, teilweise schwerst kranke Patienten, mit einer unendlich langen Krankenhistorie, unwürdig, von Ärzten als drogensüchtige Kiffer abgestempelt werden, ist das nur skandalös. Vielen von Ihnen wird nicht einmal richtig zugehört! Vor allem wirkt es sehr suspekt, wenn diesen Patienten anschließend zur Behandlung, Opioide, Psychopharmaka oder andere sehr lebenseinschneidende Medikamente verschrieben werden sollen. Diese führen erwiesenermaßen, teilweise zu heftigen Nebenwirkungen und echten körperlichen und psychischen Abhängigkeiten, welche man seinem ärgsten Feind nicht wünscht. Die möglichen, körperlichen, psychischen, sozialen und finanziellen Folgen möchte ich jetzt nicht im Einzelnen ausführen! Der daraus entstehende Kostenapparat sollte eigentlich nicht im Interesse der Krankenkassen sein. Zumal wirtschaftlich ausgerichtete Studien in einigen Bundesstaten der USA, seit der Legalisierung von medizinischen Cannabisblüten, einen deutlichen Rückgang der Verschreibungen von Opioiden, starken Schmerzmitteln und anderen Medikamenten festgestellt haben. Das könnte auch in Deutschland langfristig Kosten reduzieren und die Lebensqualität vieler Patienten verbessern. Wer dem genauer nachgehen möchte, kann das gerne hier tun.

Genauso unglaublich und unerklärlich ist, daß Ärzte reihenweise Cannabis- Privatrezepte verschreiben, obwohl sie, um die berufliche und wirtschaftliche Situation ihrer Patienten wissen. Ich kenne keine Statistik dazu, aber ich habe nicht den Eindruck, daß die meisten Chroniker, das Geld zur Verfügung haben, um die Cannabistherapie locker selbst zu zahlen! Meinen Erfahrungen zu Folge, sind eine nicht unerhebliche Anzahl, vorzeitig berentet und leben am Existenzminimum. Warum nehmen sich viele Ärzte nicht die Zeit, sich mit dem Ausfüllen des Antrages auf Kostenübernahme durch die GKVs, zu befassen? Natürlich muß jeder Arzt seine Kosten- und Ertragsrechnung, im Zeitalter der knappen Budgets im Auge behalten. Und Anträge ausfüllen kostet Zeit und somit Geld. Jedoch gibt es mittlerweile gute Lektüre, konzentriert aufgearbeitet, zu diesem Thema. Mit Hilfe dieser ist es mit Sicherheit kein Wunderwerk, bei gegebener Indikation, diesen Antrag auszufüllen und zu versenden.

Dr. Franjo Groetenhermen und Dr. Klaus Häußermann haben die Broschüre “ Cannabis: Eine Verordnungshilfe für Ärzte“ (ISBN: 9783804736283) herausgegeben. Ich kann die Lektüre jedem Patienten, Arzt und Interessierten sehr empfehlen. Die Broschüre gibt einen hervorragenden Überblick über Wirkstoffe, Wirkungsweisen, Indikationen, Dosierung und auch Studien. Dort ist sogar abgebildet, wie korrekt ausgefüllte Rezepte aussehen müssen. Das ist aber nur der bürokratische Teil.

Oft entsteht der Eindruck, Ergebnisse, fachspezifischer Studien werden von vielen Fachärzten komplett ignoriert. Oder wie ist es möglich, daß deutschlandweit, Neurologen, Schmerztherapeuten, Gastroenterologen, Palliativmediziner und viele andere Ärzte, unterschiedlichster Fachrichtung, diese Therapieoptionen ihren Patienten kategorisch verweigern! Ich rede nicht von erwarteter, flächendeckender Legalisierung, durch leichtfertiges Verschreiben und die Krankenkasse zahlt! Es ist nur sehr auffallend, daß immer noch vielen Schwerkranken der Zugang zu Cannabis als Medizin, nahezu unmöglich gemacht wird.

Natürlich heilt Cannabis nicht die Ursachen dieser Krankheiten, so doch, lindert es viele Symptome verschiedenster Krankheiten. Es hilft vielen Betroffenen, Lebensqualität zurückzugewinnen, mit überschaubaren und kontrollierbaren Nebenwirkungen. Es geht nicht darum, sich zuzudröhnen und aus dem Leben zu katapultieren, sondern genau um das Gegenteil, solange und so gut am sozialen Leben teilnehmen zu können, wie möglich.  Ich kenne etliche Patienten, denen dieses, wieder wesentlich besser möglich wurde!

Ich habe nicht den Eindruck, dass sich viele Ärzte die Mühe machen, nach Erfahrungsberichten von Patienten, Studien oder Thesen zu suchen! Im Übrigen hat das israelische Gesundheitsministerium einen Leitfaden zur Behandlung mit Cannabis, denMedical Grade Cannabis- Clinical Guide“ herausgegeben. Dieser Leitfaden ist mit Sicherheit nicht perfekt und auch zukünftig noch optimierbar. Doch könnte er, Interesse vorausgesetzt, zur Orientierung, noch in Cannabistherapien unerfahrener Ärzte dienen. Dieser Beitrag soll keine Generalkritik an der Ärzteschaft sein. Doch sind viele von ihnen, bei dem Thema „Cannabis als Medizin“ ihren Patienten gegenüber, als sehr uninformiert, desinteressiert und nicht besonders gesprächsbereit aufgetreten. Das spricht nicht unbedingt für die Offenheit der Ärzteschaft neuen Therapieformen oder Erkenntnissen gegenüber. Dazu gehört mittlerweile auch das Wissen, um das Endocannabinoid- System und was Störungen dessen, beim Menschen bewirken können! Natürlich muss gewissenhaft und kritisch diagnostiziert, therapiert und medikamentiert werden. Und dieses sollte auch den Ärzten allein überlassen bleiben. Aber man sollte sich auch als Arzt, trotz Skepsis, über neue/ alte Therapiemöglichkeiten informieren und sich ihnen gegebenenfalls öffnen, wenn es dem Wohle des Patienten dienen könnte! Dazu gehört auch manchmal, alte Wege zu verlassen!

Herzlichsten Dank an alle Mediziner und Apotheker, welche Ihre Patienten auf Ihrem Weg durch den krankenkassenärztlichen Dschungel begleitet haben und begleiten, sich fortbilden, lesen und öffnen!!!

Die Krankenkassen fürchten sich natürlich vor den Kosten, welche auf sie zukommen. Der Ansturm der Patienten war und ist weitaus größer, als zuvor angenommen! Kein Wunder, wenn man ein Blick auf die Zahlen von nur ein paar Patientengruppen wirft, welche für eine Behandlung mit Cannabis infrage kommen können. Zudem sollte man vielleicht dem einen oder anderen Krankenkassenmitarbeiter vor Augen führen, mit welcher Klientel er, es zu tun hat. Manchmal schadet es nicht sich daran zu erinnern , daß jeder in diese Situation kommen kann!

Ein Ausschnitt der in Frage kommenden Patientengruppen:

  • Schmerzpatienten, ca. 10-16 mio
  • Krebspatienten, ca. 4,75 mio, jedes Jahr ca. 470.000 Neuerkrankte
  • MS- Patienten ca. 200.000
  • Epilepsie- Patienten, ca. 600.000, jedes Jahr ca. 40.000 Neuerkrankte
  • Tourette- und Tic- Patienten, ca. 800.000
  • Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, ca. 420- 475.000
  • u.v.a.

Laut Handelsblatt gibt es mittlerweile in Deutschland ca. 40.000 legale Cannabispatienten, wovon ungefähr die Hälfte, eine Kostenübernahme durch die Kasse besitzt. Die Krankenkassen lehnen etwas mehr als 60 % der eingegangenen Anträge ab. Interessant wäre es zu wissen, nach welchen Kriterien bei der Kostenübernahme entschieden wird. Erstaunlicherweise gibt es bei verschiedenen Patienten mit gleichem Krankheitsbild und ähnlichen Symptome, oft unterschiedliche Bescheide!

Die Versorgungssituation der Apotheken mit medizinischen Cannabisblüten gestaltet sich immer noch schwierig, auch wenn leichte Besserung zu spüren ist. Man muss nehmen, was kommt und auch auf den Liefer-Zeitpunkt hat man keinen Einfluss. Leider ist es nicht möglich, wie bei anderen Medikamenten, just in time, beim Großhändler oder Importeur zu bestellen. Im Grunde muss man sich, auf eigenes Risiko bevorraten, was grundsätzlich kein Problem ist, aber die teilweise minimale Haltbarkeitszeiten (teilweise < 30 Tage), motivieren eben auch nicht alle dazu, sich die Apothekenlager vollzustellen. Was nicht bis zum MH-Datum abgegeben ist, ist Verlust! Das ist kein versuchter Druck auf die Tränendrüse, sondern ein alltäglicher Zustand. Dauerhafte Besserung ist wahrscheinlich erst zu dem Zeitpunkt zu erwarten, an dem in Deutschland, medizinische Cannabisblüten für den hiesigen Bedarf, produziert werden. Bis dahin sind wir von den Mengen abhängig, welche in Kanada und Holland „übrig“ geblieben sind. Die Apotheken haben keinerlei Einfluss auf Strain, Wirkstoffgehalte, etc.. Dieses wechselt durchaus auch mal zwischen den Chargen einer Sorte. Patienten, die schon länger dabei sind, wissen, was ich meine. Die Schwankungen der Qualität innerhalb der einzelnen Sorten ist oft noch sehr wechselhaft! Beim Fußball würde man sagen von Regionalliga bis Champions League ist alles dabei vertreten. Auch das wird sich mit Sicherheit zukünftig verändern.

Ein paar Gedanken zur Cannabisagentur und deren Ausschreibungen für den medizinischen Cannabisanbau. Nachdem die Ausschreibungen nun angeblich abgeschlossen sind, wird die Vergabe der Ausschreibungslose hoffentlich reibungsloser laufen. Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte haben 79 Unternehmen ihre Angebote abgegeben. Bis Mitte diesen Jahres sollen die Zuschläge verteilt werden. Die ersten Ernten werden laut Süddeutsche Zeitung, nicht vor dem letzten Quartal 2020 erwartet! Es ist eigentlich nicht zu glauben, dass es in einem Land, welches einmal führend in der pharmazeutischen Forschung und Produktion war, nicht möglich ist, so etwas schneller, transparenter und weniger fehlerbehaftet umzusetzen. Es hätten schon längst Arbeitsplätze, Umsätze und somit Steuergelder generiert werden können. Wieder einmal wurden und werden Chancen ignoriert und verschenkt!

Was mir wirklich auffiel, in den letzten Monaten, ist die Solidarität und Hilfsbereitschaft innerhalb der Patientenschaft. Es gibt mittlerweile viele Internetforen, Selbsthilfegruppen und lose Verbünde von Patienten, in denen, sich rege ausgetauscht, aufgeklärt und unterstützt wird. Das ist großartig, wie sich mancher, der Aufklärung und Wissensvermittlung im Bereich Cannabis als Medizin, ehrenamtlich widmet! Auch diesen Menschen gilt hier ein großes Dankeschön!!!

Abschließend möchte ich trotz vieler Kritik, deutlich anmerken, dass das Cannabisgesetz für viele Patienten ein absoluter Segen ist! Allerdings werden noch viele klinische Studien und Erfahrungen benötigt, um Cannabismedikamente vollends zu etablieren und um die Vorbehalte vieler, beiseite zu räumen. Mit Sicherheit werden auch einige Annahmen zur Heilsamkeit von Cannabis, als Mythos entlarvt. Es bleibt spannend, das ist sicher!

Wahrscheinlich haben die Wenigsten wirklich erwartet, dass alles bei der Umsetzung sofort reibungslos, so wie geschmiert, läuft. Die Idee ist famos, die richtige Umsetzung und Etablierung benötigen, leider, wie so viele Dinge, Zeit! Auch wir Patienten dürfen nicht zu ungeduldig und mit überhöhtem Anspruchsdenken, ein perfekt funktionierendes System erwarten. Auch wir sind gefordert! Ein gutes Gesundheitssystem braucht starke, mündige und kompetente Teilnehmer, welche Ihre Bedürfnisse kennen und artikulieren können. Das gilt auch für uns Patienten!

Christian Hirschfeld, http://www.diehanfapotheke.de

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